
1. Juli 2019 / GARTEN GARTENGESTALTUNG GARTENREISEN
TEMPERATE HOUSE KEW GARDENS
TEMPERATE HOUSE KEW GARDENS
Das grösste viktorianische Gewächshaus der Welt feiert seine Wiedereröffnung. In den vergangenen fünf Jahren wurde das «Temperate House» der Londoner «Kew Gardens» (GB) aufwendig restauriert und erstrahlt heute in neuem Glanz. Das 1863 eröffnete Gewächshaus beherbergt über 10 000 Pflanzen darunter einige sehr seltene und vom Aussterben bedrohte Pflanzenarten.

15 000 neue Gewächshausfensterscheiben, 5 280 Liter Farbe und 10 000 Pflanzen – das «Temperate House», das grösste viktorianische Gewächshaus der Welt, wurde aufwendig saniert. Im Mai 2018 wurde es nach einer fünfjährigen Restaurationszeit feierlich wiedereröffnet. Das prächtige Gewächshaus inmitten der Londoner «Kew Gardens» beherbergt über 10 000 Pflanzen der gemässigten Klimazonen.
Der britische Architekt Decimus Burton entwarf einst Mitte des 19. Jahrhunderts das 4 880 m² grosse Gewächshaus. Die Eröffnung folgte nach einer vierjährigen Bauzeit im Jahre 1863. In den 1970er-Jahren folgte letztmalig eine Sanierung. Der Zahn der Zeit nagte jedoch weiter an dem gusseisernen Bau. Die einst strahlendweisse Farbe blätterte ab und an den eleganten Verstrebungen und Pfeilern machte sich der Rost breit. Mit dem Beginn der aufwendigen Restauration des «Temperate House» im August 2013 begann für die Unesco-Weltkulturerbestätte Kew Gardens das wohl grösste Restaurationsprojekt ihrer Geschichte.

DIE RASTAURATION – EIN KOMPLEXES PROJEKT
Das weltweit grösste viktorianische Gewächshaus erstrahlt in neuem Glanz. Die weissgetünchten gusseisernen Pfeiler tragen wie antike Säulen das aufwendige Dach des über 150 Jahre alten Temperate House. Der prächtige Eingang ist von Statuen römischer Gottheiten flankiert – Flora, die Göttin der Blüten und Silvanus, dem Gott der Wälder und Felder. Die Restaurationsarbeiten der vergangenen fünf Jahre waren immens und die Zahlen sprechen für sich. Die Kosten der Restauration beziffern sich auf stolze 41 Millionen britische Pfund (rund 54 Millionen Schweizer Franken). Dank der finanziellen Unterstützung der Nationalen Lotterie, dem Heritage Lottery Fund (HLF), staatlichen Zuschüssen und privaten Spenden konnte das Projekt trotz des gewaltigen Kostenrahmens erfolgreich umgesetzt werden.
«Die Restauration des «Temperate House» war ein komplexes Projekt, an dem über 400 Bauleute und Restauratoren beteiligt waren», erklärt die Projektarchitektin Aimée Felton. Die Zeichnungen des Architekten Decimus Burton, die in den Kew-Archiven bewahrt wurden, waren dabei eine wertvolle Vorlage. Einen Einblick in die Originalzeichnungen des Architekten gewährt eine gesonderte Ausstellung in den Kew Gardens noch bis Mitte September.
Reinigen, Reparieren oder komplett Ersetzen – über 69 000 Elemente galt es für die Fachleute zu begutachten. Darunter 116 dekorative Skulpturen, die die Fassade und das Dach des Gewächshauses schmücken. Die Fassade und die eleganten gusseisernen Verstrebungen und Pfeiler präsentieren sich heute dank 5 280 Litern Farbe strahlendweiss wie einst bei der Eröffnung des Gewächshauses im Jahr 1863. «Einige Eisenteile mussten von bis zu 13 Farbschichten befreit werden, denn das Gebäude war in den vergangenen Jahren nicht nur weiss, sondern einmal mintgrün, hellblau oder cremefarben», präzisiert die Architektin und fügt hinzu: «Nach der Restauration erhalten die Pflanzen zudem wieder ausreichend Licht für ein gesundes Wachstum». Denn ein grosser Teil der Fensterscheiben, beachtliche 15 000 Stück, wurden ersetzt. Eine gute Luftzirkulation und Regelung der Temperatur seien nun garantiert. Die Lüftung und die Heizung des 190 m langen Gebäudes wurde auf den neuesten Stand der Technik gebracht. «Steigt die Temperatur auf über 12 Grad so aktiviert die zentrale Steuerung die Lüftung des Gewächshauses», ergänzt Felton.




10 000 PFLANZEN AUS FÜNF KONTINENTEN
Wenn Forschungsreisende einst von ihren langen Expeditionen in die britischen Kolonien Pflanzen in die Heimat brachten fanden diese in den Londoner Kew Gardens ihr neues Zuhause. Der 120 Hektar grosse Botanische Garten der jährlich über zwei Millionen Besucherinnen und Besucher in den Bann zieht, entstand im 17. Jahrhundert aus exotischen Lustgärten. Diese Gärten mit Pflanzenschätzen aus fernen Ländern wurden 1840 erweitert und zu rein botanischen Gärten umgestaltet. Das jüngst restaurierte 4 880 m² «Temperate House» inmitten der Parkanlage beherbergt über 10 000 Pflanzen der gemässigten Klimazonen. Darunter gilt es einige sehr seltene und vom Aussterben bedrohte Pflanzenarten zu entdecken.

Von Asien bis Afrika und Amerika bis Australien und Neuseeland – die 1 500 Pflanzenarten stammen aus fünf Kontinenten. Im Herbst 2017 konnten bereits die ersten Exemplare ihr altes und nun frisch restauriertes Zuhause beziehen. In den vergangenen fünf Jahren hatten die Pflanzen ihre vorübergehenden Standorte in den umliegenden Gewächshäusern der Kew Gardens.


Im Zuge der Restaurierung des Gewächshauses wurden alle Pflanzbeete umgestaltet. Alleine 1 300 m³ Pflanzerde wurde benötigt um die neuen Beete für die Pflanzung vorzubereiten. Zudem wurden die Wege verbreitert, sodass die einzelnen Themenbereiche des Gewächshauses von den Kew-Gärtnern sehr einfach gepflegt und von den Besucherinnen und Besuchern entdeckt werden können. «So kann sich der Pflanzenfreund sehr bequem auf eine spannende und lehrreiche Entdeckungsreise in die unterschiedlichsten gemässigten Klimazonen der Welt begeben», erklärt Georgina Darroch, Projekt Koordinatorin bei Kew Gardens und rät: «Wer einen atemberaubenden Blick auf die gesamte Pflanzenvielfalt erhaschen möchte dem sei ein Rundgang in der Galerie im Dach des Gewächshauses empfohlen». Hier gilt es schwindelfrei zu sein, denn das «Temperate House» misst an seiner höchsten Stelle stolze 19 Meter.
SELTENE ODER VOM AUSSTERBEN BEDROHTE ARTEN
Sie ist die höchste, in einem Gewächshaus wachsende Palme der Welt – die 16 m hohe, aus Chile stammende Honigpalme Jubea chilensis. Die fiederblättrige Palme verdankt ihren deutschen Namen dem zuckerhaltigen Saft, aus dem man Palmzucker, Palmhonig und auch Palmwein herstellt. Für die Gewinnung des Saftes muss man die Palme fällen, weshalb sie in ihrer Heimat in ihrem Bestand gefährdet ist und inzwischen geschützt wird. In ihrer Heimat kann sie eine Wuchshöhe von bis zu 30 m erreichen. Ihr massiver grauer Stamm hat dabei einen Durchmesser von 1,5 m. Im Themenbereich Afrika gilt es die wohl seltenste Pflanzenart des «Temperate House» zu bestaunen – der in Afrika beheimatete Brotpalmfarn Encephalartos woodii. Er kann eine Wuchshöhe von bis zu 15 Metern erreichen. Alle etwa 65 Encephalartos-Arten sind im Bestand bedroht und komplett Washingtoner Artenschutz-Übereinkommens gelistet. Brotpalmfarne wurden als Stärkelieferant genutzt und ihre Samen wie auch das Mark wurden – vorwiegend in Notzeiten – zu Mehl verarbeitet.
Das viktorianische Gewächshaus beherbergt in den einzelnen Themenbereichen über 70 seltene oder vom Aussterben bedrohte Pflanzenarten. In einer von Kew-Fachleuten geführten, täglich stattfindende «Temperate Treasures Tour» erhalten die Besucherinnen und Besuchern weitere lehrreiche Informationen über diese besonderen Pflanzenschätze. Nach einer Tour bietet sich für den Pflanzenfreund im prächtigen Gewächshausdach jeweils dreimal täglich ein besonderes Spektakel. Akrobaten des britischen «Cirque Bijou» begeistern mit ihren akrobatischen Darbietungen in luftiger Höhe inmitten des prächtigen, gusseisernen Pflanzentempels.
